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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 06.06.2006
Aktenzeichen: 5 TaBV 14/06
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
ArbGG § 98
ArbGG § 98 Abs. 1 S. 2
ArbGG § 98 Abs. 2 S. 2
BetrVG § 74 Abs. 1
BetrVG § 76 Abs. 2 S. 2
BetrVG § 87 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 TaBV 14/06

Entscheidung vom 06.06.2006

Tenor:

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin (= Arbeitgeberin) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 02.04.2006 - 4 BV 6/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Arbeitgeberin (= Antragsgegnerin) unterhält (zeitweise) auch Baustellen/Projekte im Ausland. Wegen der Verteilung der Arbeitszeiten der auf der Baustelle "N. L. " in England eingesetzten Mitarbeiter hat das Arbeitsgericht mit dem Beschluss vom 09.03.2006 - 4 BV 4/06 - gemäß § 98 ArbGG (auf Antrag der Arbeitgeberin) eine Einigungsstelle errichtet.

Mit dem Schreiben vom 18.01.2006 (Bl. 6 ff. d. A.) wandte sich die Arbeitgeberin (- wegen "psb Spesen- und Kostenregelung bei Reise- und Einsatzwechseltätigkeit ab 01.01.2006" -) an "alle Mitarbeiter" (- folgend abgekürzt: Regelung 2006). In dieser Regelung 2006 heißt es u.a. bei "4. Allgemeingültige Regelungen

...

4.2. Privat-PKW

Die Nutzung von Privat-PKW ist grundsätzlich nicht erwünscht und nur in Ausnahmefällen sowie nach vorheriger Genehmigung des Vorgesetzten möglich. Die Vergütung wird dann im Einzelfall geregelt.

4.3. Offizielle Heimfahrten

Die Arbeitszeitvergütung für Reisezeiten erfolgt im 4-Wochenrhythmus (offizielle Heimreise). Abreise am Donnerstag nicht vor 16:00 Uhr; Anreise am darauf folgenden Montag bis 13:00 Uhr. Sollte der zeitliche Fortschritt der Baustelle es zulassen, kann in Abstimmung mit dem Vorgesetzten die Anreise auch bis Dienstag 13:00 Uhr erfolgen. Für die entstehende Freizeit kann auf Wunsch Mehrarbeit abgebaut werden.

Fallen in den 4-Wochenrhythmus ein oder mehrere Feiertage, kann die offizielle Heimreise in Abstimmung mit dem Vorgesetzten verschoben werden. ...

...

4.4. Hotelrechnungen

Alle Hotelrechnungen müssen auf den Namen der Firma psb ausgestellt sein.

Ausnahme:

Für Hotelrechnungen aus der Schweiz gilt ausschließlich folgende Anschrift: A., c/o C. AG, Z-straße 31/34, FL - V-Stadt ...

...

4.6. Feiertagsregelung

Im Inland bei den gewerblichen Mitarbeitern gemäß BMTV. Im Ausland wird bei Feiertagen, die in Rheinland-Pfalz gültig sind, unter Berücksichtigung der entsprechenden Zuschläge gearbeitet. Bei Feiertagen, die am Montageort gültig sind, wird in Absprache mit dem Kunden gearbeitet, ansonsten muss Urlaub genommen oder Mehrarbeit abgebaut werden.

4.7. Außereuropäisches Ausland

Alle Regelungen für das Ausland gelten grundsätzlich für das europäische Ausland. Für alle anderen Länder werden individuelle Vereinbarungen getroffen. ...

...

4.8. Vorschuss

Zu Beginn einer Einsatzwechseltätigkeit/Reise erhält jeder Mitarbeiter auf Wunsch einen Reisekostenvorschuss, ...

Mitarbeiter erhalten diesen Vorschuss in der Regel am Anfang eines Jahres. ...

4.9. Arbeitskleidung

Besondere Arbeitskleidung wie Sicherheitshelm, Warnweste, Thermoanzüge etc. werden durch psb gestellt.

... Für Sicherheitsschuhe werden Kosten von 50%, maximal 30,- EUR übernommen ...".

Mit dem Schreiben vom 16.02.2006 (Bl. 36 ff. d. A.) wandte sich der Betriebsrat u.a. wie folgt an die Arbeitgeberin:

"...Nachfolgend Beschlüsse und Informationen von der BR-Sitzung am 20.01.2006 zu Ihrer Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung ...

Regelungen Montage, Einigungsstelle

Die GL hat ohne die Mitbestimmung zu wahren neue Montageregeln eingeführt und weigert sich beharrlich über diese Regeln mit dem BR zu verhandeln, damit diese in einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden können. Die Verhandlungen sind daher gescheitert.

Beschluss:

Der BR beschließt in Sachen Montageregeln eine Einigungsstelle anzurufen...".

Mit der Antragsschrift vom 27.02.2006 leitete die Arbeitgeberin - das zwischenzeitlich rechtskräftige abgeschlossene - Beschlussverfahren (gem. § 98 ArbGG) - 4 BV 4/06 - ein.

Mit der Antragsschrift vom 09.03.2006 leitete der Betriebsrat das verfahrensgegenständliche Beschlussverfahren (gem. § 98 ArbGG) ein. Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den tatbestandlichen Teil des Beschlusses des Arbeitsgerichts der am 02.04.2006 - aufgrund der Anhörung vom 23.03.2006 - erlassen worden ist.

Das Arbeitsgericht hat in dem vorbezeichneten Beschluss vom 02.04.2006 nach näherer Maßgabe des Beschlusstenors die Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Arbeitsbedingungen bei der Auslandsmontage (Montageregelungen)" errichtet, den Vorsitzenden der Einigungsstelle bestellt und die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festgesetzt.

Gegen den der Arbeitgeberin am 05.04.2006 zugestellten Beschluss vom 02.04.2006 - 4 BV 6/06 - hat die Arbeitgeberin am 18.04.2006 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz vom 18.04.2006 (Bl. 52 ff. d. A.) verwiesen. Nach näherer Maßgabe ihrer dortigen Ausführungen behauptet die Arbeitgeberin, dass zu keinem Zeitpunkt Streit über die streitgegenständlichen, vom Betriebsrat geltend gemachten Regelungspunkte bestanden habe. Im Vorfeld habe zwischen den Beteiligten Streit über die neue Spesenregelung und den Wegfall der pauschalen Abrechnungsmöglichkeit bestanden, - der Betriebsrat habe insoweit eine Benachteiligung der betroffenen Mitarbeiter befürchtet und daher das Gespräch mit der Geschäftsleitung/Personalleitung gesucht. Die Arbeitgeberin ist der Ansicht, dass erst nach einem ausdrücklichen Ablehnen oder Untätigbleiben der Arbeitgeberin der Weg für eine Einigungsstelle geöffnet gewesen wäre.

Weiter führt die Arbeitgeberin dazu aus, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates im Ergebnis verneint werden müsse mit der Folge, dass im Rahmen des § 98 ArbGG das Gericht bei entsprechender Prüfung die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle hätte feststellen müssen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des ArbG Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 02.04.2006 - 4 BV 6/06 - abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen.

Der Betriebsrat verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der Beschwerdebeantwortung vom 22.05.2006 (Bl. 76 ff. d. A.).

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt verwiesen. Die Akte - 4 BV 4/06 - Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - war zu Informationszwecken beigezogen.

II.

1. Die Beschwerde ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne des § 98 Abs. 2 S. 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.

Die hiernach zulässige Beschwerde erweist sich als unbegründet.

2.

Der Antrag des Betriebsrates ist begründet. Dies ergibt sich aus § 98 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Das Arbeitsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig im Sinne des § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG ist und dass deshalb antragsgemäß der Einigungsstellenvorsitzende zu bestellen und die Zahl der Beisitzer festzulegen ist.

a) Offensichtlich unzuständig ist eine Einigungsstelle, wenn ihre Zuständigkeit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint, - wenn ihre Zuständigkeit also bei sachgerechter Beurteilung auf den ersten Blick unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist. Das Bestellungsverfahren - dies ist jeweils anerkanntes Recht - soll weder durch die Klärung komplizierter Rechtsfragen noch durch die Aufklärung streitiger Tatsachen belastet werden. Diese Aufgaben sind ggfs. der Einigungsstelle vorbehalten. Für deren Bestellung ist entscheidend, ob hinsichtlich ihrer Zuständigkeit ernsthafte rechtliche Zweifel möglich sind oder nicht.

Nach diesem Maßstab kann von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle vorliegend nicht die Rede sein.

b) Soweit es um die Verhandlungspflicht der Betriebspartner vor Anrufung der Einigungsstelle oder Einleitung eines gerichtlichen Bestellungsverfahren geht, gilt nach näherer Maßgabe der Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 25.10.2005 - 1 TaBV 48/05 - nicht nur der Grundsatz "wer Verhandlungen blockiert, kann die Einigungsstelle nicht verhindern", sondern auch der Grundsatz "wer Verhandlungen für aussichtslos hält, kann die Einrichtung einer Einigungsstelle beantragen".

Nur eine solche Sicht wird dem das ganze Betriebsverfassungsrecht bestimmenden "Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit" gerecht. Das Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG dient dazu, in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten die "stockende" vertrauensvolle Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) unter Zuhilfenahme eines unparteiischen Einigungsstellenvorsitzenden schnell wieder in Gang zu bringen. Insoweit überlagert § 98 ArbGG den Verhandlungsanspruch aus § 74 Abs. 1 BetrVG. Das gerichtliche Bestellungsverfahren ist deshalb darauf angelegt bei Konflikten die Errichtung einer Einigungsstelle zu beschleunigen und jede weitere Verzögerung von Verhandlungen zu vermeiden (LAG Niedersachen - wie bereits zitiert - = NZA-RR 2006, 142 f.). Die Regelung 2006, deren Einführung ab dem 01.01.2006 die Arbeitgeberin mit dem an alle Mitarbeiter gerichteten Schreiben vom 18.01.2006 bekannt gegeben hat, enthält u.a. auch Regelungen, die gesetzliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates im Sinne des § 87 Abs. 1 BetrVG tangieren können. Dies könnte gelten für die Festlegung von Anreise- und Abreisezeiten, soweit damit eine Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und/oder eine teilweise Verteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochentage verbunden ist (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Die dort enthaltenen "allgemeingültigen" Regelungen enthalten auch Aussagen über Arbeitskleidung/Sicherheitsschuhe (vgl. insoweit § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 BetrVG; Däubler/Kittner/Klebe 7. Auflage BetrVG § 87 Seite 1207 Rz 50). Weiter enthält die Regelung 2006 eine Aussage zur Arbeit an Feiertagen und in diesem Zusammenhang die Pflicht, Urlaub zu nehmen oder Mehrarbeit abzubauen (vgl. dazu § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 BetrVG; Däubler/Kittner/Klebe aaO S. 1229 Rz 111). Schließlich befasst sich die Regelung 2006 mit Vorschuss-Fragen (vgl. dazu § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG und Däubler/Kittner/Klebe aaO S. 1227 Rz 105).

Der Betriebsrat hat der Arbeitgeberin mit dem Schreiben vom 16.02.2006 (dort S. 2 - Mitte - "Regelungen Montage, Einigungsstelle" (Bl. 37 d. A.) deutlich gemacht, dass die Arbeitgeberin - nach Ansicht des Betriebsrates "neue Montageregeln" eingeführt habe, "ohne die Mitbestimmung zu wahren". Der Arbeitgeberin wird dort vorgehalten, sich beharrlich zu weigern, über diese Regeln mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Im Anschluss daran hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat (jedenfalls) nicht (genügend) deutlich gemacht, dass sie doch bereit sei, Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Arbeitszeit- und Urlaubsfragen sowie sonstige potentiell mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten, wie sie in der Regelung 2006 anklingen, zu führen.

Aus diesem Grunde ist es nicht zu beanstanden, wenn der Betriebsrat vorliegend das Verfahren gemäß § 98 ArbGG für erforderlich hält und bei seiner Beschlussfassung am 13.02.2006 für erforderlich gehalten hat.

c) Dass Regelungsbedarf hinsichtlich der Verteilung der Arbeitszeiten (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) bei Auslandsmontage besteht, macht (auch) die Antragsschrift der Arbeitgeberin vom 27.02.2006 deutlich, mit der das Beschlussverfahren - 4 BV 4/06 - eingeleitet worden war. Nicht ersichtlich ist aber, weshalb sich die Frage der Verteilung der Arbeitszeiten ausschließlich bei der - dort - verfahrensgegenständlichen Baustelle "N. L. " stellen sollte. Die Zuständigkeit der nunmehr vom Betriebsrat begehrten Einigungsstelle ergibt sich jedenfalls aus § 87 Abs. 1 BetrVG. Auf die obigen Ausführungen unter II. 2. b) wird verwiesen. Ob die vom Betriebsrat in Anspruch genommenen Mitbestimmungsrechte bei jeder Detailregelung bestehen, ist unter Zugrundelegung des BAG-Beschlusses vom 06.12.1983 - 1 ABR 43/81 - hier nicht zu prüfen. Diese Prüfung obliegt der Einigungsstelle. Der genannten BAG-Entscheidung entsprechend ist im Verfahren nach § 98 ArbGG die Einigungsstelle schon dann zu bestellen, wenn deren Zuständigkeit nicht offensichtlich ausscheidet, - was schon dann nicht mehr anzunehmen ist, wenn hinsichtlich eines möglichen Regelungsgegenstandes ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in Betracht kommt; in dem Verfahren vor der Einigungsstelle mag dann - je nach dem Ergebnis der eben erwähnten Prüfung - auch über andere Gegenstände verhandelt werden.

III.

Hiernach war - wie geschehen - zu entscheiden. Die Rechtsbeschwerde kann in einem Verfahren der vorliegenden Art nicht zugelassen werden (§ 98 Abs. 2 S. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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